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13-07-2020

Interviewfragen an Monika Hauser von medica mondiale

Weltweit sind Frauen besonders stark von der Corona-Krise betroffen. Monika Hauser berichtet über die wichtige Arbeit von medica mondiale.

(c) Anna Verena Müller/ medica mondiale

Corona-Pandemie: Frauen halten die Gesellschaft am Leben

Monika Hauser im Interview

•         Was passiert weltweit jetzt in den Partnerinnenorganisationen?

In Krisenzeiten, zum Beispiel auch während der Corona-Pandemie, verschlechtert sich die Gesamtsituation von Frauen: Sexualisierte und häusliche Gewalt nehmen zu und bestehende Ungleichheiten, insbesondere die Benachteiligung von Frauen, werden verstärkt. So gehen krisenbedingte Maßnahmen unverhältnismäßig stark auf Kosten der Frauenrechte. Massive ökonomische Auswirkungen verstärken insbesondere in den Ländern, in denen medica mondiale tätig ist, die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit.

medica mondiale besteht aus einem Netzwerk aus lokalen Frauenrechtsorganisationen in Konfliktregionen auf drei Kontinenten. Die Arbeit in Krisensituationen gehört zum Alltag der Partnerorganisationen von medica mondiale: Sie sind darauf spezialisiert, mit Frauen, die Gewalt erlebt haben oder von Gewalt bedroht sind, zu arbeiten. Sie suchen proaktiv den Kontakt zu den Frauen, unterstützen sie dabei, individuelle Auswege aus der Gewalt zu finden - gesundheitlich und juristisch; das Erlebte zu verarbeiten und neue Hoffnung für die Zukunft zu schöpfen. Diese Arbeit mussten unsere Partnerinnen zu Beginn der Pandemie rasch re-organisieren und gleichzeitig ihre Arbeit auf Nothilfe-Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und den drastischen Auswirkungen für Frauen erweitern.

•         Wie wirkt sich die Corona-Krise konkret auf das Leben der Frauen aus?

Durch den Lockdown konnten Frauen in der Demokratischen Republik Kongo ihre Waren lange nicht auf dem Markt verkaufen, ihre Einnahmen blieben aus. Ähnlich geht es Frauen im Irak, auch sie sind aufgrund der Situation von Hunger bedroht. Viele Frauen fragen sich, wie sie ihre Familien ernähren sollen.

In Bosnien und Herzegowina lässt der Lockdown Erinnerungen an den Krieg in den 1990er Jahren wach werden. Das birgt für viele die Gefahr einer Retraumatisierung. Die ganze Zeit zu Hause zu bleiben – das erinnert viele Menschen daran, wie sie während des langen Krieges nur unter Lebensgefahr das Haus verlassen konnten.

Für afghanische Frauen war schon vor Corona ihr Zuhause ein sehr gefährlicher Ort. Durch die angespannte Lage während der Krise nahm die häusliche Gewalt dort noch stärker zu.

•         Was bedeutet es für die Arbeit vor Ort?

Während der Pandemie unterstützen wir die Nothilfe-Arbeit unserer Partnerinnen vor Ort unkompliziert und schnell: Der Bedarf an Nahrungsmitteln oder finanzieller Unterstützung ist groß. Daher haben einige Partnerinnen ihre Arbeit um die Verteilung von dringend benötigten Nahrungsmittelpaketen ausgeweitet.

Auch der Bedarf an Hygienematerial wie Desinfektionsmittel oder Schutzmasken ist hoch. Unsere Partnerinnen verteilen diese Materialien an die Bevölkerung und versorgen auch Kliniken am marginalisierten Stadtrand.

Außerdem leisten die Aktivistinnen vor Ort Aufklärungsarbeit: Mit Flyern, Plakaten und Radiobeiträgen. Die Mitarbeiterinnen waren in Schutzkleidung unterwegs, um auf Märkten und belebten Plätzen über das Virus aufzuklären. Gleichzeitig verbinden sie jede Gelegenheit mit der Aufklärung zu sexualisierter Gewalt. Die Zielgruppe der Aufklärungsarbeit sind vor allem Frauen und Mädchen, die aufgrund sozialer Isolierung noch schlechter an Informationen kommen als sonst.

Um das finanzieren zu können, hat medica mondiale einen Nothilfefonds aufgesetzt, um die diese Arbeit zu unterstützen. Die Partnerinnen von medica mondiale sind darauf spezialisiert, mit Frauen, die Gewalt erlebt haben oder von Gewalt bedroht sind, zu arbeiten. Sie suchen proaktiv den Kontakt zu den Frauen, unterstützen sie dabei, individuelle Auswege aus der Gewalt zu finden - gesundheitlich und juristisch; das Erlebte zu verarbeiten und neue Hoffnung für die Zukunft zu schöpfen.

•         Wie reagieren die Organisationen darauf?

Die lokalen Frauenrechtsorganisationen konnten ihre Arbeit nach Ausbruch der Pandemie innerhalb kurzer Zeit umstellen: trotz Lockdown und Besuchsverbot, die eine persönliche psychosoziale Beratung unmöglich machen. Sie haben ihre Beratungsangebote auf Telefonhotlines und digitale Chats umgestellt, statt wie vorher bei persönlichen Besuchen und Gruppenberatungen. Trotz “Social Distancing” können die Expertinnen so an der Seite von Frauen stehen, die jetzt mehr denn je Beratung und Beistand brauchen. Unsere Partnerinnen zum Beispiel aus Ruanda berichten, dass sich die Frauen durch diese Angebote trotz Ausgangsbeschränkungen verbunden fühlen.

Die Partnerinnen von medica mondiale haben uns kurz nach dem Ausbruch ihre besonderen Bedarfe mitgeteilt und wir haben gemeinsam Lösungen gesucht und kurzfristige Konzepte erarbeitet. Dabei war uns besonders wichtig auch die Gesundheit der Kolleginnen in den Projektländern in den Blick zu nehmen. Einmal natürlich vor dem Hintergrund des Virus: Auch unsere Partnerinnen haben in den letzten Monaten weitestgehend im Homeoffice gearbeitet.

Zudem müssen auch unsere Kolleginnen besonders auf sich achten, Zeichen von Stress und Überforderung ernst nehmen. Wir unterstützen sie mit Self-Care-Coachings und erarbeiten Strategien, wie sie es trotz der existentiellen Lage besser schaffen können, nach der Arbeit abzuschalten. Nur so können sie langfristig ihre wichtige Arbeit leisten.

•         Welche Formen von Kommunikation finden statt?

Schon vor der Krise waren digitale Kanäle fester Bestandteil der Kommunikation bei medica mondiale. Diese Formen nutzen wir jetzt nochmal stärker als zuvor. Vor Corona gehörten Projektreisen zum Standard unserer Arbeit. Außerdem kamen die Partnerinnen regelmäßig zum fachlichen Austausch in die medica mondiale Zentrale in Köln. Diese Besuche und der persönliche Kontakt sind wichtiges Merkmal der Arbeit von medica mondiale. Das fällt jetzt auf unbestimmte Zeit aus; die direkten Begegnungen fehlen uns allen nun massiv. Dennoch sind die alternativen Kommunikationswege besser ausgebaut denn je: eine liberianische Kollegin sagte vor Kurzem mit Blick auf die überstandene Ebola-Krise „Erinnert ihr Euch, damals hatten wir kaum Smartphones und kein WhatsApp. Dieses mal können wir schneller und unkomplizierter mit euch kommunizieren, das hilft uns in der Krise, unsere Arbeit umzustellen und uns zu organisieren.“

•         Wie ändert sich die Programmarbeit?

Viele Projekte und Aktivitäten, die für dieses Jahr geplant waren, mussten verschoben werden. Der Fokus liegt jetzt darauf, die wichtige grundlegende Frauenrechtsarbeit vor Ort zu unterstützen und aufrecht zu erhalten.

•         Vielleicht gibt es ein ermutigendes Beispiel, von dem auch wir lernen können.

Langfristige Partnerschaften bauen Vertrauen auf, das auch in Krisenzeiten nicht erschüttert werden kann. medica mondiale hat Jahrzehnte lang nachhaltige Strukturen aufgebaut, die sind auch in Corona-Zeiten belastbar. Damit sind zum einen die engen Beziehungen zwischen medica mondiale und den Frauenrechtsorganisationen in Krisenregionen gemeint. Zum anderen aber auch das etablierte Standing der Partnerinnen in lokalen Gemeinden und Communities. Ein Beispiel: Die Erinnerung an die Ebola-Krise versetzte viele Menschen in Liberia in Panik. Verwirrung und Desinformationen verbreiteten sich. Doch medica Liberia genießt aufgrund ihrer jahrelangen Arbeit, besonders während der verheerenden Ebola-Krise, großes Vertrauen in der Bevölkerung. Ihre Informationen zu Covid-19 und der besonderen Bedrohung für Frauen und Mädchen werden ernst genommen, sie können den Ängsten der Bevölkerung gut begegnen. Lokale Organisationen haben Zugang zu „ihren“ Gemeinden und spielen daher eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung des Virus. Sie nehmen in lokalen Sprachen und Dialekten den Kontakt zu den Menschen auf und stellen Informationsmaterial zur Verfügung, das auf sie abgestimmt und verständlich ist. Dieser Gedanke von Nachhaltigkeit und langjährigen Beziehungen lässt sich auch auf andere Verbände, Organisationen und Privatpersonen übertragen.

•         Was können wir als Verband tun?

Um die lokalen Organisationen im Kampf gegen die Corona-Pandemie zu unterstützen, hat medica mondiale einen Nothilfefonds aufgesetzt. Mit den Mitteln aus diesem Fonds können unsere Partnerinnen ihre Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus, aber auch zur weiteren Unterstützung von Betroffenen sexualisierter Gewalt, finanzieren.

Würdigen wir gemeinsam den Einsatz von Frauen als Heldinnen in der Corona-Krise und sorgen dafür, dass die Frauenrechte weltweit eingehalten und durchgesetzt werden! Jede Form der Solidarität zählt dabei.

•         Wie können wir es verhindern, dass Frauen weltweit die Verliererinnen der Krise werden?

Mit Solidarität und Empowerment können wir alle dazu beitragen, Frauen in der Krise zu stärken. Wir können als Frauen gemeinsam und solidarisch füreinander einstehen, uns gegenseitig stärken, uns zuhören. Das sind Dinge, die zu einem gesellschaftlichen Rahmen beitragen, in denen Frauen sichtbarer werden und an politischen Entscheidungen teilhaben:

Diese Entscheidungen werden in fast jedem Land hauptsächlich von Männern getroffen – die Maßnahmen jedoch betreffen überall auf der Welt vor allem die Lebensrealitäten der Frauen.

Deswegen bleibt der politische und gesellschaftliche Kampf für die Umsetzung von Frauenrechten immer im Fokus der Arbeit von medica mondiale und ihren Partnerinnen:

Die feministische Organisation MEMPROW (Mentoring and Empowerment Programme for Young Women) aus Uganda hat sich während der Krise als wichtige Stimme für die Achtung der Frauenrechte etabliert. Die Frauenrechtsaktivistinnen von MEMPROW werden regelmäßig von der Regierung und Medien als Expertinnen herangezogen.

Die Kolleginnen von medica Liberia gehören zu den wichtigsten Frauenpolitischen Expertinnen und haben ihre Empfehlungen in einem feministischen Forderungspapier an ihre Regierung gerichtet.

Die Arbeit von Frauenrechtsorganisationen ist gerade in Krisenzeiten wichtiger denn je. medica mondiale fordert Regierungen weltweit und auch die Bundesregierung dazu auf, Menschenrechtsverteidigerinnen zu unterstützen und zu schützen, um die Rechte von Frauen weltweit einzuhalten und durchzusetzen –  während der Corona-Krise und auch danach.
 

Zum Download:

>> Interview medica mondiale
>> Auszug aus dem Interview in den Sonder-Mitteilungen "Corona-Spezial", Sommer 2020

 

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(c) medica Liberia