Andacht zu Weihnachten

Am Anfang war die Weisheit.
Und die Weisheit war bei Gott.
Und die Weisheit war wie Gott.

In anderer Übersetzung:
Am Anfang war das Wort.
Und das Wort war bei Gott.
Und Gott selbst war das Wort.

Nochmal anders:
Beim Beginn war der Sinn.
Alles ist durch die Weisheit entstanden.
Das Leben war das Licht für die Menschen.

Strahlende, ansteckende Lebensfreude.
Und das Licht scheint in der Finsternis.
Und die Weisheit wurde Materie und wohnte als Mensch unter uns.

Anders übersetzt:
Und das Wort wurde Fleisch.
Und der Sinn erschien als empfindender Leib.
Und wir sahen ihren Glanz.
Einen Glanz wie den eines einzigen Kindes von Mutter und Vater.
Voller Gnade und Wahrheit.

Kein klassischer Text mit Krippe und Stall. Kein Esel, keine Engel. Keine Hirtinnen. Nicht mal Hirten. Keine Weisen und kein dicker Wirt. Keine Sterne, kein Gloria-Lied vom Frieden auf Erden. Weniger emotional. Eher philosophisch, nüchtern. Gott ist die Weisheit, das Wort. Die Weisheit bedeutet Leben, das zum Licht der Menschen wird. Sie wohnt bei uns. Sie zeigt sich uns menschlich.

Johannes knüpft hier an seine jüdische Weisheits-Tradition an. Da wird sie als göttliche Mitschöpferin verstanden. Eine Begleiterin Gottes und der Menschen. Intuition. Stimme der Seele. Aha-Moment. Eine arglos kreative Kraft. Ein verspieltes Gegenüber. Ein Energie-Bünde, Hebräisch ‚Chokmah‘. ‚Chok‘: Potential. Und ‚Ma‘: Das, was ist. Das Potential, zu sein. Und die wird nun zu Weihnachten „Materie“. Anders gesagt: Der präexistente Logos, mit dem Gott die Welt erschaffen hat, kommt zur Welt.

Ich vermisse die Windeln mit Pipi. Den Wind aus Bethlehem. Die rauen Hände. Die staubigen Haare. Den Protest-Song „Friede auf Erden!“  Die krumm-gewachsenen Tannenbäume. Josef, den Fluchthelfer. Maria, die Gottesmutter. Und das Baby.

Am Anfang war die Weisheit.
Und sie wurde Mensch.
Und wohnte bei uns.

In christlicher Tradition lesen wir diesen Text jesuanisch. Erst recht zu Weihnachten. Der göttliche Sinn wurde Mensch. Ein jüdischer, messianischer Mensch. Jesus von Nazareth, geboren in Bethlehem, ist die menschgewordene Weisheit. Mit seinem Leben und seiner Art, seinen Geschichten, seinem Blick zeigt er uns, wie Gott ist. Wie. Ein Mensch, der zu einem Festessen einlädt. Wie. Ein Vater mit offenen Armen. Wie. Eine Frau, die sich beherzt gegen einen ungerechten Richter durchsetzt. Ein Weinbergbesitzer, der großzügig zahlt. Ein Gekreuzigter, der Schmerzen kennt und Verrat. Wie ein Bruder, der Brot, Fisch und Wein teilt. Einer, der an Dich glaubt. Das Beste aus Dir rausholt. Dich kennt. Deinen Glanz sieht. Wie ein Freund, der das Leben umarmt.

Die Weisheit wurde Mensch.
Logos, Sinn, göttliche Kraft wurde menschlich.

Weihnachten feiert die Menschlichkeit. Gott setzt ein Zeichen der Humanität. Und deshalb ja kann Weihnachten auch gefeiert werden und geschätzt von denen, die sich selber nicht zum Christentum zählen. Weihnachten feiert die Humanität und gehört uns nicht allein! Weihnachten ist eine einfache, gewinnende Idee: Menschlich zu sein. Mehr zu lachen, weniger zu klagen. Weniger urteilen, mehr mitempfinden. Weniger Recht haben müssen, mehr Offenheit und Neugier. Weniger ablehnen, mehr lieben. Mehr da sein und segnen. Mit Potential, Intuition, Seele.

Und die Weisheit wohnte bei uns.
Und strahlte sie trotzdem an. Alle, die Dunkelheit mehr gewohnt waren als Licht. Die lieber die Augen zumachten, um nicht entdeckt zu werden. Die sich vor zu hellem Licht fürchteten. Die nicht wussten, wie es ist, zu glänzen. Sie konnten so viel schönes Licht gar nicht aufnehmen. Sie trauten der Freude nicht. Und Jesus spürte sie auf. Und betete sie von der Panik zum Frieden. Aus der Angst in die Liebe.

Und die Weisheit hatte den Glanz eines Kindes.
Das reine Gesicht des Kindes von Bethlehem. Das wertschätzende Gesicht des Rabbis aus Nazareth. Das strahlende Gesicht des Auferweckten.

Und alle, die sie angenommen haben,
lebten als Kinder Gottes.

Menschen, die Frieden stiften. Essen und trinken. Mit Gott und Weihnachten die Humanität feiern. Die Freundinnen und Freunde Gottes. Die Lieder singen und schweigen. Anderen zurufen: „Mazal Tov!“ Und seinem Beispiel folgen. Leuchten. Teilen. Und einladen.  „Le Chaim!“ rufen und das Leben feiern. Menschlich sind füreinander. Hinreißend. Liebenswert. Gemeinsam stark und phantastisch und bewundernswert.

Christina Brudereck

(in: Evangelische Frauenhilfe im Rheinland (Hrsg.), überBRÜCKEN. Andachten 2024. 24 Andachten durch das Kirchenjahr 2023/ 2024)
 

Gebet

Mein Wunsch für mich.
Mein Wunsch für uns.
Mein Wunsch für diese Welt:
Dass wir uns in diesen Tagen vertraut machen,
wieder ein bisschen mehr mit der Idee:
Es gibt für diese Welt eine große Liebe,
eine große segnende Kraft, die wir Gott nennen.
Sie ist ewig und sie ist nah. Amen. 
 

Liedvorschläge

Zu Bethlehem geboren (EG 32, 1-3)
Ich steh an deiner Krippen hier (EG 37, 1-3)