„Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.“ (1. Mose 28,12)
Wunderschöne blaue Blüten zeichnen eine Blume aus, die in unseren Breitengraden nur selten vorkommt. Sie braucht es eher kühl und feucht, mit steinigem Boden hat sie kein Problem. (Das Bild stammt aus Spitzbergen.) Ihren gefiederten, länglichen Blättern, die entfernt an die Sprossen einer Leiter erinnern, verdankt sie den Namen „Jakobsleiter“. So vertraut waren unsere Altvorderen mit der Bibel, dass sie selbst kleinen Gewächsen biblische Namen gaben.
Meine Vorstellung von der Jakobsleiter ist deutlich größer, so wie ich sie aus Bilderbibeln kenne. Gezeigt wird die Szene, wie der Stammvater Jakob einmal im offenen Gelände schläft und im Traum eine Himmelsleiter sieht. Sie steht auf der Erde und ragt mit ihrer Spitze bis in den Himmel. Göttliche Wesen steigen an ihr auf und nieder. Am Ende der Leiter steht Gott selbst und spricht zu Jakob. (1. Mose 28,10ff)
Normalerweise ist diese Verbindung zwischen Himmel und Erde unsichtbar. Jakob selbst sagt: Hier wohnt Gott, und ich habe es nicht gewusst. Anders gesagt: Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich mich hier nicht so respektlos zum Schlafen hingelegt. Erst der Traum offenbart die Gegenwart Gottes an diesem Ort. Jakob nennt ihn darum Bet-El, Haus Gottes.
Nun könnte man meinen, eine Himmelsleiter sei dazu da, dass ein Mensch zu Gott kommen kann. Die Religionen dieser Welt fragen danach: Wo ist die Brücke, auf der ein Mensch zu Gott findet?
Aber die Leiter, die Jakob sieht, ist nicht für Menschen da. Der Impuls geht von Gott aus. Er will mit Jakob sprechen. Seine Boten, Engel, steigen auf und nieder. Auf und nieder - das ist merkwürdig, müssten die Engel nicht eigentlich zuerst von oben herabkommen, um dann wieder hinaufzusteigen?
Diese kleine Besonderheit ist schon dem berühmten jüdischen Gelehrten Raschi (1040-1105) aufgefallen. In seinem Kommentar kommt er zu dem Schluss: Jakob steht an einer entscheidenden Lebenswende. Er will den mit Schuld behafteten Teil seines Lebens hinter sich lassen. Und Gott gewährt ihm diesen Neuanfang. Jakob sieht die Engel, die auf seinem bisherigen Lebensweg bei ihm waren, wie sie hinauf zum Himmel steigen. Sie verlassen ihn, und es kommen andere herunter, um ihn auf dem neuen Lebensabschnitt zu begleiten.
Was für ein tröstliches Bild! Ganz selbstverständlich geht die Bibel davon aus, dass es diese göttlichen Wesen gibt, die sich auf einer unsichtbaren Brücke zwischen Himmel und Erde bewegen und uns mit Gott verbinden.
Meist bemerken wir nichts davon. Aber es gibt besondere Augenblicke. Der Moment, an dem wir eine Vergangenheit bewusst abschließen, ist solch ein bedeutender, heiliger Moment. Jakob sieht die auf- und absteigenden Engel und erkennt, dass er das Alte hinter sich lassen darf. Gott schenkt ihm einen neuen Anfang und segnet ihn.
Von Generation zu Generation wird dieser Segen weitergegeben und kommt durch Jesus letzten Endes auch zu uns. Jesus greift das Bild auf und sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren über dem Menschensohn“. (Johannes 1,51)
Die Engel dienen Jesus zur Zeit der Versuchung in der Wüste. Sie umgeben ihn mit der Kraft Gottes und geleiten ihn durch schwere Zeiten bis zu seinem Tod. Ja, es gibt diese Verbindung zwischen Himmel und Erde, die Brücke zu Gott, nach der die Religionen dieser Welt suchen. Wer mir nachfolgt, wird sie erkennen, sagt Jesus.
Wie schön, dass sogar eine kleine blaue Blume daran erinnern kann. Amen.
Margit Büttner
(in: Evangelische Frauenhilfe im Rheinland (Hrsg.), überBRÜCKEN. Andachten 2024. 24 Andachten durch das Kirchenjahr)
Lieber Vater im Himmel,
wir danken Dir heute für Deine himmlischen Kräfte,
die uns begleiten und mit Dir verbinden.
Sie stehen in Deinem Dienst und erfüllen den Himmel mit Deinem Lob.
Uns schenken sie Schutz und führen uns in Deine Gegenwart.
Lass Deine Engel um uns sein, am Tag und in der Nacht,
auch heute bei diesem Zusammensein in der Gruppe.
Amen.
Großer Gott, wir loben dich (EG 331,1-3)