Meditation der Jahreslosung 2024

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe

 

Da steht sie, die Schöpferin. Leuchtend in ihren Farben. Sie schafft etwas Neues. Aus sich heraus und doch ganz anders. Setzt ihre Farben frei und lässt sie zusammenfließen. Neue Farben entstehen. Die dunklen Linien lassen die hellen umso stärker leuchten. Die Farben bewegen sich, sind lebendig, stürmisch und leidenschaftlich, wärmen und bergen. Sie entwickeln ihr Eigenleben.

Einmal vom Pinsel auf die Leinwand gebracht, gehören ihr die Farben nicht mehr. Deshalb setzt sie den Pinselstrich nicht flüchtig, sondern ganz bewusst und sorgfältig. Ich sehe ihr Gesicht nicht. Aber ihre Haltung gibt mir eine Vorstellung: wach und aufmerksam, staunend über den lebendigen Farbwirbel, der vor ihren Augen entsteht.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Da steht er, der Pastor. Er ist der einzige mit dunkler Haut auf dem Podium. Und er predigt: „Wir trauen eurer Liebe nicht.“ Er erzählt davon, wie oft er und viele andere es erleben, dass Dinge nicht in Liebe geschehen. Dass Menschen ausgrenzen, sich von der Angst vor dem vermeintlich Anderen leiten lassen.

„Wir trauen eurer Liebe nicht.“ Zu viel erlebt, zu viel erlitten, zu viel Unwahres gehört.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Paulus fand es wichtig, genau das am Ende seines Briefes zu betonen. „Es passiert viel bei euch. Ihr habt viel zu tun. Euch wird viel zugemutet. Lasst alles, was ihr tut, in Liebe geschehen.“

Manchmal schaudert es mich richtig, wenn ich das höre. Liebe – das klingt oft so klebrig rosarot-schmalzig. Glückliche Paare, die sich nie streiten. Menschen mit einem geradezu impertinent liebevollen Tonfall, meist eher leise. Liebe – das meint häufig romantische Sehnsucht, enttäuschte Hoffnung. Manchmal toxisch, bisweilen eifersüchtig. Nie vollkommen.

Paulus wäre verblüfft angesichts solcher Assoziationen. Für ihn war Liebe etwas anderes. Eine Haltung. Etwas, das dich aufrichtet und wofür du stehst. Eine soziale Beziehung, die tiefe Gefühle umfassen kann, aber nicht muss. In der es nicht um Schmalziges geht, sondern ums Eingemachte: gut und gerecht und verantwortungsbewusst mit anderen zu leben. Wie das gehen kann, davon erzählen die Geschichten der Bibel: wenn niemand einfach liegen gelassen oder übersehen wird; wenn Mächtige plötzlich klein werden und Ohnmächtige groß; wenn heil wird, was verletzt wurde.

Wie das gehen kann, spüre ich doch auch selbst: „Du bist ein Gott, der mich anschaut, du bist die Liebe, die Würde gibt.“

Gott, die Liebe, die Würde gibt. Die mich und alle anderen aus sich heraus geschaffen hat. Diese DNA Gottes habe ich in mir und weiß, dass jede andere Person sie auch in sich trägt: die Liebe, die Würde gibt. Und genau daraus kann die Haltung wachsen, die Dinge klar und deutlich in Liebe geschehen lässt. Die hinsieht und aushält. Die ihre Stimme auch denen gibt, die keine Freunde oder Freundinnen sind, die einfach nicht gehört werden. Das ist Geschenk und Aufgabe zugleich. Eine Aufgabe, die noch viel zu oft unerfüllt bleibt.

„Wir trauen eurer Liebe nicht.“ Da bleibt noch viel zu tun, damit wir unsere Dinge aufrecht in Liebe geschehen lassen können.

Und dann sehe ich sie wieder: die Schöpferin, die ihre Farben aus sich herausgibt, um Neues entstehen zu lassen.

Die die Farben freigibt und sieht, wie sie sich neu ordnen, sich gegenseitig zum Leuchten bringen und manchmal auch begrenzen. Aber dann kann sie mit ihrer Farbe Leuchtpunkte setzen, Hoffnungspunkte, die Begrenzungen aufbrechen und Raum schaffen.

Und all das lässt sie in Liebe geschehen.

Susanne Paul
Landespastorin für die Arbeit mit Frauen in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

(in: leicht&Sinn, Evangelisches Magazin für Frauen- und Gemeindearbeit, Oktober 2023)